arrow-breadcrumb arrow-left-white arrow-left chevron-breadcrumb clock email flag-germany flag-uk gps language logo-white map-pin phone telephone

Diskussionsbeitrag zur Früherkennung von Trisomie 21

Die innovativen Möglichkeiten zur Früherkennung einer Trisomie 21 (Down-Syndrom) beim Ungeborenen durch einen mütterlichen Bluttest haben eine moralische und eine politische Debatte ausgelöst.

 

Die Humangenetikerin Prof. Dr. Elisabeth Gödde kommentiert hier das Für und Wider vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Arbeit in der Beratung von Schwangeren und Eltern.

Früherkennung von Trisomie 21

Als Trisomie wird das dreifache statt zweifache Vorhandensein einzelner Chromosomen bezeichnet. Trisomien treten in der Regel spontan auf und können alle Chromosomen betreffen.

 

Beim Menschen bedingt die Trisomie 21 das Down-Syndrom, das schon seit Jahrtausenden beim Neugeborenen aufgrund seines charakteristischen Bildes erkannt wird. Diese wurde 1866 von Dr. Langdon-Down beschrieben und inzwischen nach ihm benannt.

 

Die Trisomie 21 ist deshalb bei Neugeborenen „die häufigste“ Trisomie, weil sie –anders als zusätzliche Geschlechtschromosomen– ein typisches Erscheinungsbild, nämlich das Down-Syndrom, verursacht und – anders als Trisomien der anderen Chromosomen– für etwa die Hälfte der frühen Embryonen mit Trisomie 21 kein Hemmnis ist, sich zu einem lebensfähigen Neugeborenen zu entwickeln.

 

Seit 1966 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland die Mutterschaftsvorsorge, die durch Screening-Untersuchungen, die für alle Schwangeren zur Verfügung stehen, die Frauen erkennt, bei denen Hinweise auf besondere Risiken für die Mutter und/oder das erwartete Kind bestehen. Für diese Risiko-Schwangeren gibt es Behandlungsmöglichkeiten, von denen erwartet werden kann, dass sie die Lebensaussichten des erwarteten Kindes und die Lebensqualität von Mutter und Kind verbessern.

 

Inzwischen hat sich die Mutterschaftsvorsorge weiterentwickelt. Darüber hinaus werden die durch die Mutterschafts-Richtlinien für alle Schwangeren zur Verfügung stehenden Untersuchungen ergänzt durch weitere Untersuchungsmöglichkeiten, die von den Schwangeren zusätzlich als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die privat bezahlt werden, in Anspruch genommen werden können. Hierzu gehören die nicht-invasiven Screening-Verfahren mit Ultraschall- und Blutuntersuchungen (Erst-Trimester-Screening, ETS) und das Screening auf Trisomien oder zahlenmäßige (numerische) Anomalien der Geschlechtschromosomen sowie definierte Abweichungen von der Chromosomenstruktur des Ungeborenen an einer Blutprobe der Schwangeren ab der 10. Schwangerschaftswoche. Diesen Untersuchungsmöglichkeiten ist eins gemeinsam: sie entdecken Eigenschaften des Ungeborenen, die zwar behandelbar, aber nicht heilbar sind. Zu den Konsequenzen, die sich aus den Befunden ergeben können, gehört schlussendlich auch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs.

 

Wenn aus Kinderwunsch Realität zu werden beginnt, sich das kommende Kind durch das Ausbleiben der Regelblutung ankündigt, ist alles ganz anders und nur auf eins ist wirklich Verlass: dieses Kind wird, wenn es geboren wird, mit großer Wahrscheinlichkeit gesund und ganz sicher nicht genormt sein! Doch wie viel Normabweichung hält eine Familie aus?

 

Bei der Suche nach Gewissheit sollen die Untersuchungen während der Schwangerschaft helfen. Welche Hilfe insbesondere die zusätzlichen Untersuchungen geben können, sollte im Einzelfall im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen sorgfältig abgewogen werden.

 

Während die nach invasiven Eingriffen möglichen Chromosomenanalysen an Zellen des Ungeborenen alle im Mikroskop darstellbaren Chromosomenanomalien entdecken können, konzentrieren sich die nicht-invasiven Screening-Tests auf die Trisomie 21 und andere Chromosomenanomalien. Keines dieser Verfahren kann bei unauffälligem Ergebnis andere, auch schwerwiegende Störungen ausschließen.

 

Werdende Eltern, insbesondere werdende Mütter bemühen sich zumeist intensiv alles richtig zu machen. Doch bei aller Für- und Vorsorge: die Natur trickst niemand wirklich aus! Warum nun soll ausgerechnet die Trisomie 21 das Ziel intensiver Untersuchungen sein?

 

„Die Gesellschaft“ erwartet von ihren Mitgliedern, dass sie alles richtig machen und vor allem: bloß nicht stören und keine Zusatzkosten verursachen. Will „die Gesellschaft“ das ernsthaft auch von der Natur des Menschen erwarten? Kaum jemand wundert sich, wenn z. B. gelegentlich Autos wegen erkannter technischer Fehler in die Werkstätten zurückgerufen werden – und das, obwohl sie vermeintlich normengerecht und kontrolliert produziert wurden. Und dann wird es sicher auch jemanden geben, der dafür zur Verantwortung gezogen werden kann… Bei Chromosomenfehlern funktioniert das sicher nicht!

 

Wir erleben zumeist die Möglichkeit der Familienplanung dank Verhütung oder der technischen Unterstützung bei unerfülltem Kinderwunsch als Gewinn. Ist dann das Wunschkind unterwegs, soll es auch möglichst gesund zur Welt kommen, sodass vor und während der Schwangerschaft auch alles dafür getan wird.

 

Doch medizinische Techniken können auch dazu führen, dass Schwangere in den Einbahnstraßen „Pränataldiagnostik – Schwangerschaftsabbruch“ oder „Pränataldiagnostik – Geburt eines Kindes mit einer schwerwiegenden, zum frühen Tod führenden Erkrankung oder einer Fehlgeburt“ landen und den Weg zurück in ihr altes Leben und ihre Familien nur schwer oder gar nicht mehr finden. Dann stört zwar kein behindertes Kind die schöne Aussicht, doch der Blick in den Spiegel fällt möglicherweise auf einen der Verantwortlichen.

 

Sich für ein Leben mit behindertem Kind entscheiden, bedeutet nicht unbedingt, es „besser“ zu machen. Jede Entscheidung „für“ ist auch eine Entscheidung „gegen“ und sie betrifft nicht nur die Schwangere selbst. Sich der eigenen Verantwortung zu stellen, ist die Aufgabe eines jeden Mitglieds der Gesellschaft:

  • Als werdende Eltern gegenüber sich selbst, der vielleicht schon vorhandenen Familie und dem werdenden Kind gegenüber.
  • Als Gesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern und als Mitglied der Gesellschaft gegenüber den anderen in der jeweils eigenen Rolle: Ärzte, Wissenschaftler, Verwandte, Freunde, Nachbarn, Kollegen, Religionsangehörige usw..

Und eins wird es dabei sicher nicht geben: einheitliche Meinungen und Konsequenzen. Dazu sind Lebensentwürfe und Lebensbedingungen zu verschieden.

 

Und eins sollte es unbedingt geben: die Erkenntnis, dass es bei der Inanspruchnahme von speziellen vorgeburtlichen Untersuchungen keine „richtigen“ oder „falschen“, sondern immer nur individuelle Entscheidungen gibt, deren Konsequenzen vor allem die Schwangere und ihre Familie zu tragen haben. Zur Entscheidungsfindung verdienen sie umfassende Informationen, beim Umgang mit den Konsequenzen Unterstützung und Respekt für ihre Entscheidung – auch wenn es nicht die eigene ist. Meine Entscheidungen sollen doch auch respektiert werden – oder nicht?

 

Ein Kommentar von Prof. Dr. med. habil. Elisabeth Gödde, Fachärztin für Humangenetik Psychotherapie, palliativmedizinische Grundversorgung